Die eiserne Mamsell

Isaak Merritt Singer


… Schon oben waren wir einem Nähmaschinenfabrikanten begegnet, welcher keck und kühn Howe's Ideen benutzte, einem Manne, der in die Kategorie von Hall (Horace Hall - Flachsspinnmaschine), Arkwright (Richard Arkwright, * 23. Juni 1732, † 03. August 1792 - Spinnmaschinen) und Konsorten gehört, die alle mit imponierender Frechheit unter dem angenommenen Schein, als wären sie die Originalerfinder, vorhandene Ideen auszubeuten, zu kombinieren verstanden, mit bedeutendem Handelsgeiste und praktisch schlauem Verstande ausgerüstet, schnell ihre Komposition zur Geltung brachten und den bedeutendsten Reichtum dadurch erzielten. Dieser Mann ist Isaak Merritt Singer, der trotz jenen Makels für die Entwicklung der Nähmaschinenindustrie und besonders für die schnelle Einführung dieser Hausmaschine von außerordentlichem Einfluß gewesen ist. Singer hatte ein abenteuerliches Leben bald als Schauspieler, bald als Theaterdirektor geführt, hatte gewisse mechanische Talente hin und wieder zur Anwendung gebracht, - ein geregeltes Leben jedoch kannte er nicht. Mit der Verfertigung einer Holzschnitzmaschine beschäftigt, arbeitete er 1850 in der Werkstatt von Orson C. Phelps und sah dort Howesche Nähmaschinen, welche der Reparatur unterworfen werden sollten. Die ersten Maschinen Howes ließen noch manches zu wünschen übrig und Phelps Bemerkung zu Singer, daß eine Vervollkommnung des Mechanismus so, daß die Maschine für eine größere Reihe Stoffe zu verwenden wäre, sehr erwünscht sei und viel Geld einbringen müsse, stachelte Singer an, dies zu erstreben. Wie er sagt, "überlege er sich die Sache in der folgenden Nacht und legte am Morgen bereits Hand an das Werk." Der Besteller einer Schnitzmaschine bot Singer einen Vorschuß an und nun stellte Singer in 12 Tagen und Nächten eine Näh=Maschine her auf welcher er sofort ein Patent zu erlangen suchte, indem er drei, noch Heute an der Singermaschine beibehaltene Teile als seine Erfindung bezeichnete. Er erhielt das Patent am 12. Aug. 1851. Abgesehen von der sehr geringen Bedeutung dieser drei Abänderungen waren alle Prinzipien der Elias Howe jun. Maschine darin wiederbenutzt. Singer hatte mit den Arbeitern des Orson C. Phelps jedoch die singer Ausführung der Maschine sauber und sorgfältig genug in den Bewegungsteilen und den Mechanismen bewirkt und so kam es, daß dies erste Modell trefflich arbeitete und weit weniger treibende Kraft erforderte als Howe's damalige Maschinen. Singer benutzte auch diesen Zufall, der ihn über die ferner einzuhaltende Richtung der Fabrikation bezüglich der Dimensionen belehrte. Er begab sich nun in das Gewoge des Handels. Durch mächtige Reklame in den Blättern, durch Maueranschläge, durch Schaustellungen, durch Reisen und ruhmrednischere Vorträge und Anpreisungen wußte er sehr bald seine Maschinen in den Vereinigten Staaten bekannt zu machen. In dem Franzosen Callebaut aus Paris fand er einen Bundesgenossen, der den Kontinent mit Singerschen Maschinen versorgte und dies so gut verstand, daß man in England, Deutschland und Frankreich den Namen Singer früher kennen lernte, als den Namen Howe und daß in mehreren Schriften jener Zeit aus dieser Veranlassung Singer als Erfinder der Nähmaschine genannt ward. Die Aufträge auf seine Maschinen liefen bei Singer so schnell und so zahlreich ein, daß die kleine Werkstatt des Orson C. Phelps bald nicht mehr genügte und Singer von Boston nach New York übersiedelte, wo er in der Nähe des Hafendepots ein mächtiges Fabrikgebäude errichtete. Aber schon nach einem Jahr zeigte sich auch dieses Etablissement zu klein und mußte wesentlich vergrößert werden. Da trat Howe auf und protestierte gegen die Fabrikation Singers. Wir haben schon gesehen, welchen Ausgang dieser Prozess nahm, trotzdem Singer mit einer Unermüdlichkeit und Ausdauer, die einer redlicheren Sache würdig gewesen wäre, alles in Bewegung setzte, was irgend für ihn und seine Fabrikation günstig sprechen konnte. Um so bedeutender und überzeugender mußte der richterliche, verdammende Entscheid zu Gunsten der Howeschen Maschinen wirken. Kaum war Singer dem Erfinder Elias Howe jun. tributpflichtig, als auch die Nähmaschinenfabrikanten Wheeler & Wilson und Grover & Baker gegen ihn auftraten. Beide Firmen hatten kurz zuvor mit Howe Prozess geführt und zwar gerechtfertigter als Singer, da sowohl Wilsons, als Grovers Verbesserungen originelle Gedanken enthielten. Dennoch wurden auch sie für die Teile, die Aehnlichkeit mit den Details der Howe-Maschinen hatten, dem Erfinder zur Entschädigung verpflichtet. In dem erkauften Recht aber glaubten sie Veranlassung zu haben, gegen den Nachahmer Singer auftreten zu können, da er durch Benutzung jener Teile ihre Fabrikation wesentlich beeinträchtigte. So entbrannte ein großartiger Prozess 1855 zwischen den beiden genannten Firmen einerseits und Singer andererseits, der mit einer nie dagewesenen Erbitterung und mit allen möglichen Schikanen geführt ward. Die Akten dieses Prozesses schwollen zu Stößen und Bänden mit Tausenden von Seiten an. Der Prozess ward im Oktober 1856 geendet durch den glücklichen Gedanken Wilson's "anstatt sich untereinander zu bekämpfen, lieber sich zu vereinigen und vereint größere Vorteile aus dieser Fabrikation zu ziehen." Howe trat diesem vernünftigen Beschluss bei und so kam jene oben bereits berührte Kombination der vier ersten und größten Nähmaschinenfabriken besonders durch Howe's Bereitwilligkeit und Mäßigung zu Stande, die allen vier Fabriken von größten Nutzen wurde.
Singer, der möglicher Weise dabei am meisten verloren hätte, sah sich nun in unbestrittenem Besitz seiner Fabrikation und agierte auf das Geschickteste. Als 1857 ein mächtiger Brand seine Fabrik vernichtete, ging er sofort daran, in Mott Street zu New York ein neues Fabrikgebäude herzurichten, dessen Konstruktion feuerfest gemacht ward. Jeder Raum ward auf Feuerbeständigkeit geprüft. Schon 1859 war wieder eine Vergrößerung der Fabrik notwendig und diese durch die Ausführung eines mächtigen, 5 Stockwerke hohen und 13 städtische Baustellen bedeckendes Gebäudes bewirkt. 1863 löste sich die Assoziation I. M. Singer & Co. auf und der Besitz der großartigen Fabrik ging über auf The Singer Manufacturing Company, deren Präsident Inslee A. Hopper ward.
Von dem Umfang dieses Fabrikbetriebes kann man sich einen Begriff machen, wenn man hört, daß vom 10. Juni 1866 bis 10. Juni 1867 in der Singerschen Fabrik 40.053 Maschinen gebaut worden sind. Singers Maschine hat durch die oben bezeichneten Aktionen augenblicklich die größte Verbreitung unter allen Nähmaschinen gefunden. …

Quelle:

Grothe, Hermann: Bilder und Studien zur Geschichte der Industrie und des Maschinenwesens,
Verlag von Julius Springer, Berlin, 1870 - (Text größtenteils in der Ausdrucksweise belassen.)

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